Publikumsstarke Fußballspiele, aber auch die Karnevalssaison oder Ereignisse wie Silvester lassen ein wichtiges Thema wiederaufleben, das in Deutschland auch in der Presse zu lauter werdenden Forderungen führt: Stoppt die Gewalt gegen Rettungskräfte. Bereits 2012 veröffentlichten die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und die Ruhr-Universität Bochum eine repräsentative Studie zu dem Thema. Schon vor sechs Jahren wurde deutlich: 98 Prozent der Befragten Rettungskräfte gab an, verbale Gewalt erlebt zu haben. 59 Prozent haben gewalttätige Übergriffe wie Abwehren, Wegschubsen oder Anspucken erlebt. 27 Prozent gaben an, in den letzten 12 Monaten Opfer tatsächlicher körperlicher Gewalt gewesen zu sein. Die jüngste Studie aus 2018, ebenfalls von der Ruhr-Universität Bochum erstellt, bestätigt im Wesentlichen die Ergebnisse von 2012. Auch die aktuelle Studie weist nochmals darauf hin, dass die Übergriffe unabhängig von Großveranstaltungen jeglicher Art stattfinden. Die Ergebnisse beider Studien belegen den Handlungsbedarf nach Weiterbildung der Rettungskräfte zur Konfliktprävention, damit sie Situationen dieser Art bewältigen können. Seitdem hat sich an der Situation eigentlich nur geändert, dass sich die Übergriffe auf Einsatzkräfte der Polizei, Feuerwehr, der Rettungsdienste, aber auch auf das Personal in den Notfallaufnahmen häufen. Die damit einhergehende Berichterstattung bildet auch die öffentliche Meinung dazu konkreter aus. Der Gesetzgeber hat zum Teil reagiert und entsprechende Gesetze beschlossen. Die Frage ist: Was kann neben der Weiterbildung der Einsatzkräfte noch getan werden, um höheren Schutz zu gewährleisten? In diesem Beitrag soll auf die Möglichkeiten bei der Ausstattung der Einsatzfahrzeuge eingegangen werden. Bislang finden die Rettungskräfte in Deutschland noch nicht die gesetzgeberische Unterstützung bei Ausstattungsvorschriften wie sie z.B. in England (UK) vorzufinden ist. Das Phänomen der Übergriffe auf Rettungsdienste hat sich in England bereits deutlich früher gezeigt, entsprechend hoch sind auch mittlerweile die Sicherheitsvorschriften im Bereich „Health and Safety“ (Gesundheit und Sicherheit). Einige Beispiele machen deutlich, wo die Unterschiede liegen.
Auffällig ist, dass in fast allen englischen Rettungswagen Kamerasysteme (CCTV: Closed Circuit Television Systems) mit fest installierten Überwachungskameras im Patientenraum verbaut sind. Vor einigen Jahren in Deutschland noch undenkbar, mehren sich nun die Stimmen, die die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen den Sicherheitsaspekt für die Einsatzkräfte setzen. Die Kameras in englischen Einsatzfahrzeugen zeichnen in einer Endlosschleife 24 Stunden lang alle Aufnahmen im und am Fahrzeug auf und speichern sie auf einer Festplatte, die allerdings nach 48 Stunden überschrieben wird. Zusätzlich sind an drei Positionen Panic Stripes angebracht, die der Sanitäter im Angriffsfall drücken kann. Daraufhin erfolgt eine Sprachdurchsage, die den möglichen Randalierer darüber informiert, dass ab sofort und 30 Sekunden rückwirkend alles aufgezeichnet und die Datei separat gesichert wird, um sie gegebenenfalls vor Gericht zu verwenden. Das System setzt also auf Abschreckung und auf vorausschauenden Schutz der Retter. Zusätzlich zu den Innenraumkameras haben viele Rettungswagen an allen Seiten der Fahrzeuge Außenkameras. Die Aufnahmen sind vor Gericht zur Be- und Entlastung bei Angriffen sowie bei Unfällen zugelassen.
Nicht selten kommt es auch zu Angriffen von außen auf die Fahrzeuge. Aus diesem Grund sind zahlreiche Patientenräume mit Fenstern aus schlagfestem und bruchsicheren Polycarbonat ausgestattet. Um den Fahrerraum vor Angriffen zu schützen, werden vermehrt auch die Windschutzscheiben aus Glas gegen Fenster aus Polycarbonat ausgetauscht.
Auch das Thema Telemetrie ist in England sehr präsent. In einigen Bereichen werden komplette Fuhrparks mit Telemetrie-Systemen ausgestattet. Somit hat die Leitstelle die Möglichkeit, neben der Position des Fahrzeugs auch alle im Fahrzeug erfassten Daten zu erfassen. Sie sehen in Echtzeit, wenn es zu Übergriffen kommt und können sofort entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen.
Das ist nur ein kleiner Katalog der wichtigsten Unterschiede zwischen zwei (europäischen) Systemen im Rettungswesen. Sicher muss das Für und Wider abgewogen und die jeweilige landestypische Gesetzgebung berücksichtigt werden. Dennoch wird anhand dieser Beispiele deutlich, wie unterschiedlich die gesetzgeberische Seite das Thema Sicherheit für Rettungskräfte interpretiert. Zusätzlich ist absehbar, dass nicht alle Maßnahmen, die von festangestellten englischen Rettungskräften akzeptiert werden, auch bei deutschen Einsatzkräften auf durchgängige Akzeptanz stoßen. Die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber Rettungskräften setzt allerdings Fakten und schafft Situationen, die eine Diskussion über wirksame Maßnahmen schnell in Gang setzen können. Es erscheint also sinnvoll, jetzt schon über geeignete Maßnahmen nachzudenken, bevor der Alltag Opfer fordert, die wir nicht wieder zurücknehmen können. Und der Aspekt der Nachwuchsgewinnung darf bei dieser Diskussion auch nicht ausgeblendet werden. Wie überzeugend können die Argumente für den Nachwuchs sein, wenn wir bei der Frage des Schutzes für die Einsatzkräfte ratlos die Schultern zucken müssen?